REDEBEDARF

Realistische Hoffnungen, präzise Diagnosen, effektive Behandlungen: Dass gute Kommunikation mit Patienten für positive Veränderungen sorgt, ist keine neue Erkenntnis. Aber mittlerweile tut sich was. 

Von Maike Gröneweg, Lothar Schmidt - Illustrationen: Mario Wagner

 

„Ich habe dem jungen Mann Dinge versprochen, die ich nicht einhalten konnte, und ihm unrealistische Hoffnungen für seinen Krankheitsverlauf gemacht.“ Ihre Anfänge als junge Assistenzärztin lassen Dr. Bettina Sandritter bis heute nicht los. Es ist Anfang der 1990er Jahre, als sie einem Mann in ihrem Alter sagen muss, dass er seine Krebserkrankung nicht überleben wird. Sie versucht ihm die Angst vor der Therapie und dem weiteren Verlauf zu nehmen und verspricht ihm, dass sie immer für ihn da sein und ihn begleiten wird. Wenige Wochen später stirbt der Patient. Er stirbt, als die Ärztin sich im Urlaub erholt. Heute ist Sandritter 61 Jahre alt, Leiterin einer onkologischen Ambulanz und sehr darauf bedacht, ihren Patienten mit den richtigen Worten zu begegnen. „Ich habe noch lange über das Gespräch nachgedacht und mich gefragt, warum ich diese Anfängerfehler gemacht habe“, sagt Sandritter. Gesprächsführung, Sachverhalte einfach und klar ausdrücken oder das Überbringen schlechter Nachrichten – all das hat sie in ihrem Studium nicht gelernt: „Heute weiß ich, dass ich diese Dinge gesagt habe, um den Patienten und auch mich selbst zu schützen. Ich dachte, das sei der richtige Weg. Dabei war mir eigentlich schon immer klar, dass ein gutes Vertrauensverhältnis zwischen Ärztin und Patient essenziell ist, um gute medizinische Ergebnisse zu erzielen – und dass es vor allem auf einfühlsamer und ehrlicher Kommunikation beruht“, erklärt die Onkologin. Gute Kommunikation ist eine Kernkompetenz für medizinisches Fachpersonal, denn mehr als 90 Prozent aller richtigen Diagnosen, das hat eine Studie am Universitätsspital Basel ergeben, basieren auf dem ärztlichen Gespräch. Umso ernüchternder ist die Einschätzung, wie es mitunter um die Qualität dieser Gespräche bestellt ist: Laut forsa- Umfrage haben 30 Prozent der Patienten in Deutschland Verständnisschwierigkeiten, wenn Ärzte mit ihnen über Diagnosen und Behandlungsmöglichkeiten sprechen. Eine Untersuchung im Auftrag des Wissenschaftlichen Instituts der AOK zeigt, dass mehr als 25 Prozent aller Kassenpatienten mit ärztlichen Empfehlungen kaum etwas anfangen können. Die Folge: Nicht nur die Zufriedenheit von Patienten mit ihren Ärzten sinkt, sondern auch ihr Mitwirken an der vereinbarten Therapie und damit die Wahrscheinlichkeit für Behandlungserfolge. Ein immenser Zeit- und Kostenfaktor in einem ohnehin schon stark belasteten Gesundheitssystem. Eigentlich sollte das Thema schon längst der Vergangenheit angehören. Denn seit 2012 ist ärztliche Gesprächsführung explizit Teil der Approbationsordnung und muss somit gelehrt und geprüft werden. Angehende Ärztinnen und Ärzte in Deutschland lernen im Studium – abhängig von ihren Universitäten unterschiedlich viel und intensiv – sowohl theoretisch als auch in praktischen Übungen, zum Beispiel mit Schauspielenden, wie Gesprächskultur gelingt.

DER PATIENT STÖRT

Doch das Gelernte scheitert oft am ärztlichen Alltag. „So hart es klingt: In unserem überlasteten und bürokratisierten Gesundheitssystem wird der Patient zum Störfaktor“, sagt Sandritter, die ihren ersten Kommunikationskurs Anfang der 2000er Jahre im Rahmen ihrer Palliativausbildung absolvierte. Da auch sie im eng getakteten Praxisalltag nicht immer die Zeit und Ruhe findet, um mit Patienten so zu sprechen, wie es ihr Anspruch ist, bestellt sie sie manchmal noch nach den regulären Sprechzeiten ein. „Denn damit Menschen ihren Gesundheitszustand und die kommenden Behandlungen verstehen können, muss ich ihnen als Ärztin genügend Zeit zur Verarbeitung geben, besonders wenn die Gespräche emotional herausfordernd für die Patienten sind“, weiß Sandritter. Aber auch sie selbst habe nach langen Arbeitstagen nicht immer die Kraft und Zeit dazu: „Wir sind auch nur Menschen. Deswegen verstehe ich auch in Ansätzen, warum manche Kollegen sich vor allem für das Überbringen schlechter Nachrichten so wenig Zeit nehmen: Sie möchten sich selbst schützen.“ Für Sandritter ist das aber keine Option. Die Onkologin versucht sich immer wieder in die Patientenperspektive hineinzuversetzen, stellt sich vor, wie es ihr ginge, wenn ein Arzt sie innerhalb von ein paar Minuten abarbeitet und ratlos zurücklässt. Genau darauf richtet Sandritter ihre Kommunikation aus. Für Prof. Dr. Sascha Bechmann liegen die Ursachen der kränkelnden medizinischen Kommunikation nicht nur in der mangelnden Zeit: Im Alltag wird der Patient häufig auf seine Symptome reduziert. Das merke man zum Beispiel daran, wenn in Kliniken von „der Herzklappe auf Zimmer sieben“ oder „dem Schlaganfall auf Zimmer acht“ gesprochen werde. Das mag im Einzelfall harmlos sein. Dennoch sagt es viel über die generelle Sicht des medizinischen Personals auf die Patienten aus. Bechmann, Professor für Gesundheitswissenschaften und Kommunikation an der Fliedner Fachhochschule in Düsseldorf, forscht seit seiner Promo- tion zum Themenkomplex medizinische Kommunikation und ärztliche Gesprächsführung. Bei der Forschung nach den Ursachen des Problems geraten auch schnell die überkommenen Rollenbilder ins Visier: Im viele Jahre vorherrschenden und noch immer nachwirkenden hierarchischen Modell, in dem der Arzt beschließt und der Patient nickt, ist keine gleichberechtigte Kommunikation vorgesehen. Einen grundsätzlichen Wandel erhofft sich Bechmann durch eine Veränderung der medizinischen Kommunikation generell, indem Pflege- und Gesundheitsberufe zu Studiengängen aufgewertet werden. Diese Akademisierung könnte Gesundheitsberufe nicht nur attraktiver machen, sie würde auch helfen, Hierarchien abzubauen. Ein wichtiger Schritt, so Bechmann, um auch die Hierarchie zwischen Arzt und Patient zu reduzieren. Ideal für diesen Weg sind gemeinsame, interdisziplinäre Ausbildungsstätten. Bechmann: „Wenn wir die Zusammenarbeit zwischen den Berufen stärken, wird sich die Kommunikation auf allen Ebenen verbessern – zwischen Ärzten, Pflegekräften, Therapiekräften, Patienten und Angehörigen.“

SPRACHE DER PATIENTEN SPRECHEN

Das Thema Hierarchie treibt auch Kathrin Schelonke um. „Wir haben als studierte Medizinerinnen zwangsläufig einen Wissensvorsprung gegenüber unseren Patienten“, weiß die Doktorandin und angehende Dermatologin. Das schließe aber nicht aus, sich auf Augenhöhe zu begegnen. Schelonke engagiert sich seit ihrem Studium bei „Was hab’ ich?“. Das gemeinnützige Unternehmen übersetzt kostenlos Befunde in eine für Patienten leicht verständliche Sprache, um die Beziehungen von Patienten zu ihren Ärzten zu stärken. „Wie sehr das Vertrauen in Ärzte leiden kann, wenn nicht verstanden wird, was sie sagen, hat mir ein Auftrag letztes Jahr gezeigt“, erzählt Schelonke. Ein verzweifelter Mann hatte sich an „Was hab’ ich?“ gewandt. Kurz zuvor war seine Frau plötzlich in einem Krankenhaus verstorben. Woran, das verstand der Mann nicht, konnte den Verlust so nicht verarbeiten – und den Befund, den man ihm kurz nach dem Tod seiner Frau in die Hand gedrückt hatte, nicht entziffern. „Für Erklärungen hat man sich weder im Krankenhaus noch in seiner hausärztlichen Praxis Zeit genommen. Ich habe den Befund für ihn Wort für Wort in verständlichere Sprache übersetzt, Hintergrundinformationen zur Anatomie und Physiologie des Körpers ergänzt und Zusammenhänge erklärt – in der Hoffnung, dass der Mann so mit dem Tod seiner Frau abschließen kann“, sagt Schelonke. Durch ihr Engagement – und auch durch die Kommunikationsausbildung, die sie im Vorfeld absolvieren musste – hat sie ein Gefühl dafür entwickelt, wie viel medizinische Laien begreifen können. „Mir war klar, dass Fachbegriffe oft nicht verstanden werden. Es gibt aber auch versteckte Fachwörter wie ‚Bauchfell‘ oder ‚Gefäß‘, unter denen sich manche Menschen nichts vorstellen können“, erzählt Schelonke. Damit die Übersetzungen so verständlich wie möglich werden, erklärt die Doktorandin deswegen lieber zu viel als zu wenig. Dabei nutzt sie gern alltagsnahe sprachliche Bilder: „Die Herzklappe wird bei mir zum Ventil, das undicht oder verengt sein kann“, so Schelonke. Das schriftliche Übersetzen hilft der Doktorandin außerdem dabei, ihren Patienten im Alltag auf Augenhöhe zu begegnen. Bilder, Vergleiche und Formulierungen, die sie dafür findet, kann sie auch in Patientengesprächen immer wieder verwenden. Schelonke: „So spart man sogar Zeit. Denn wenn es keine Missverständnisse gibt und stattdessen den Raum für Rückfragen, benötigen Patienten seltener einen zusätzlichen Termin.“ Dabei helfe ihr, zu Beginn den Kenntnisstand ihres Patienten und seine Erwartungen an das Gespräch zu erfragen.

UNTERBRECHEN KOSTET ZEIT

„Viele Ärzte gehen richtig in die Gespräche rein, indem sie eine offene Atmosphäre schaffen“, weiß auch Bechmann. Allerdings hat der Wissenschaftler bei Gesprächsanalysen festgestellt, dass die offene Atmosphäre nicht lange anhält. „Wenn Patienten anfangen zu erzählen, werden sie sehr schnell unterbrochen. Das ist nicht nur unhöflich, das ist auch ein Gesprächskiller“, erklärt Bechmann. „Aber dann passiert das, was man Türklinkenphänomen nennt: Die Patienten kommen irgendwann wieder zu ihrem eigentlichen Anliegen. Dadurch werden die Gespräche insgesamt länger.“ Dass bessere Kommunikation nicht automatisch mehr Zeitaufwand bedeutet, konnte auch das Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH) zeigen. In einem bundesweit einmaligen Modellprojekt wurde in Kiel der Ansatz Shared Decision Making (SDM) in den klinischen Alltag integriert. Die Idee von SDM: Patientinnen und Patienten werden in Entscheidungen über Behandlungen einbezogen. Nicht nur werden die Patienten dazu ermutigt, sondern sie werden auch befähigt, eigene medizinische Entscheidungen zu treffen. Im Zentrum stehen drei Fragen, die im Gespräch mit dem speziell geschulten medizinischen Personal beantwortet werden sollen: Welche Möglichkeiten habe ich als Patient – einschließlich der, nichts zu tun und abzuwarten? Was sind die Vor- und Nachteile jeder dieser Möglichkeiten? Und wie wahrscheinlich ist es, dass diese Vor- und Nachteile bei mir auftreten?

GEMEINSAM ENTSCHEIDEN, GEMEINSAM LERNEN

„Die Auswertung des Projekts zeigt, dass die Patienten durch SDM besser informiert sind, obwohl die Ärzte dafür weniger Zeit benötigen“, erklärt PD Dr. Jens Ulrich Rüffer. „Patienten sind gesundheitskompetenter und fühlen sich besser auf die Entscheidung vorbereitet“, weiß der Kölner Onkologe. Seit einem Vierteljahrhundert kämpft Rüffer dafür, dass SDM in Deutschland eine Chance bekommt. Sein Kollege und Leiter des Nationalen Kompetenzzentrums SDM am UKSH, Prof. Dr. Friedemann Geiger, kann den Erfolg auch mit Zahlen belegen: „Nach der Entlassung treten weniger Komplikationen auf, die zu Notfalleinweisungen führen. Im Vergleich zu anderen Krankenhäusern waren es 13 Prozent weniger. Das ist ein deutlicher Zuwachs an Patientensicherheit“, freut sich Geiger. SDM wird von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) für eine bessere Patientensicherheit empfohlen und ist in Deutschland auf dem Weg in die Regelversorgung: Rund 100 Kliniken haben schon ihr Interesse angemeldet. Ob und wie sich der SDM-Ansatz in hausärztlichen Praxen umsetzen lässt, wird gerade in einem Pilotprojekt in Bremen untersucht. Für Jens Ulrich Rüffer geht es bei SDM – und da sind sich auch Bettina Sandritter, Sascha Bechmann und Kathrin Schelonke einig – um einen grundsätzlichen Wandel im deutschen Gesundheitssystem: „Wir müssen die Patientinnen und Patienten als Menschen wieder stärker ins Zentrum rücken“, fordert der Onkologe. Gute Kommunikation ist ein wichtiger Bestandteil davon.


INTERVIEW

„Wichtige Werte fallen hintenüber“

Mit einem unterhaltsamen Vortrag über die Bedeutung von Arzt-Patienten-Kommunikation ist Luca Schuster schon als Student bei Science-Slams angetreten. Jetzt hat er sein praktisches Jahr absolviert – und fordert eine andere Vermittlung von Kommunikation für angehende Medizinerinnen und Mediziner.

LUCA SCHUSTER ist angehender Mediziner und Science-Slammer.
LUCA SCHUSTER ist angehender Mediziner und Science-Slammer.

Wie viel Patientenkommunikation haben Sie in Ihrem Studium gelernt?

Es gab vor allem in der Vorklinik einige Kommunikationskurse, in denen wir Techniken für Gesprächsführung gelernt haben, die in Prüfungen abgefragt wurden. In der Klinik gab es eine mündliche Prüfung, bei der wir Schauspielenden unter anderem schlechte Nachrichten überbringen mussten. Hinsichtlich der Fachterminologie wurde uns vor allem in den ersten Semestern gesagt, dass wir uns Patienten gegenüber einfacher ausdrücken müssen.

Wie sollte Kommunikation gelehrt werden?
Ich glaube, dass man Kommunikation am besten praktisch lernt, wenn man sie praktisch vermittelt – zum Beispiel in einem geschützten Rahmen auf den Stationen, in dem wir die Gespräche unter realen Bedingungen üben können. Ich bin mir aber nicht sicher, ob sich alle Medizinstudierenden gute Kommunikationsfähigkeiten aneignen können.

Warum nicht?
Weil nicht alle Menschen auf derselben Ebene sozial intelligent und empathisch sind – dementsprechend auch nicht alle, die Medizin studieren. Das muss man aber sein, um auf die Patientinnen und Patienten eingehen und mit ihnen kommunizieren zu können. Die wichtigste Zulassungsvoraussetzung ist unser Abiturschnitt, der nur zeigt, dass wir lernen und uns in einem System beweisen können. Bisher gibt es nur einzelne Universitäten, die Vorgespräche ins Auswahlverfahren integriert haben, um die nichtmedizinische Eignung der Bewerber zu prüfen. Und im Studium setzt sich dieser Fokus auf erlernbares Fachwissen dann fort.

Inwiefern?
Das Medizinstudium ist anspruchsvoll und leistungsbezogen. Viele glauben, sie müssen durchhalten und die vielen Prüfungen mit guten Noten bestehen. Dabei fallen wichtige Werte hintenüber. Ich habe im Studium nicht gelernt, was einen guten Arzt über das Fachwissen hinaus ausmacht oder wie der Berufsalltag aussehen und mich und mein Verhalten gegenüber meinen Patienten beeinflussen wird.

Sie haben trotzdem bereits als Student in Science- Slams über die Bedeutung der Arzt-Patienten-Kommunikation gesprochen. Wie sind Sie auf dieses Thema gestoßen?
Mir ist aufgefallen, dass manche Ärztinnen und Ärzte nicht sehr wertschätzend mit ihren Patientinnen und Patienten sprechen. Das liegt auch am Gesundheitssystem, in dem es nicht möglich ist, individuell auf Menschen einzugehen. Was mich zum Beispiel schockiert hat: Bei einer Visite hat ein Chirurg einer Patientin, die mehr als zwei Wochen auf ihre Operation wartete, zum wiederholten Mal mit einer Scheinbegründung mitgeteilt, dass die Operation wieder verschoben wird. Die Patientin ist in Tränen ausgebrochen, woraufhin der Oberarzt den Raum verlassen hat. Ich glaube, die Patientin hat sich, ohne operiert zu werden, selbst entlassen. Im Zweifel wird also das Leben eines Menschen eingeschränkt, wenn ein Arzt nicht gut oder nicht richtig kommuniziert. Das wäre zum Beispiel durch ein angepasstes Studium, Kommunikationstrainings mit spezifischem klinischen Bezug oder durch eine grundlegende Überholung unseres Gesundheitswesens vermeidbar.