Wir sind Chefin

Ein Chefarzt führt, alle anderen folgen. In der Gynäkologie der Asklepios Klinik Wandsbek will man mit diesem klassischen Modell brechen. Hier ist Chefsein Teamarbeit.

Von Carolin Diel

„Es gibt etwas zu feiern“, erklären Anna Jacob, Setareh Huschi und Dr. Simone Klüber freudig, als sie zum Zoom-Interview erscheinen. „Heute ist quasi unser erster Hochzeitstag“, sagt Jacob. Am 1. April 2021 sind die drei Frauen eine besondere Verbindung eingegangen. Gemeinsam haben sie die Leitung der Gynäkologie an der Asklepios Klinik Wandsbek in Hamburg übernommen. Seitdem gibt es hier nicht, wie sonst in deutschen Kliniken üblich, eine Chefarztposition für die Abteilung, sondern drei. Führung als Teamarbeit? Neu ist das Konzept nicht. In Großbritannien beispielsweise teilen sich auf den Stationen schon immer mehrere gleichberechtigte Fachärztinnen und -ärzte die Leitung. Das meist noch streng hierarchische Chefarztsystem Deutschlands wird dort eher belächelt. Auch Jacob, Huschi und Klüber erschien dieses Führungsmodell nicht zeitgemäß. „Medizin ist ein Fach, bei dem es nicht um Zahlen geht, sondern um Menschen. In einem Fach, in dem man immer mehrere Lösungsansätze hat, nur eine Person an der Spitze zu haben, die dann für alle Bereiche entscheidet, ist doch zumindest diskussionswürdig“, so Jacob. Hinzu kam, dass sich keine der drei vorstellen konnte, allein den Berg an organisatorischen Aufgaben des Führungsjobs zu übernehmen. Dafür sind die drei einfach zu gerne Ärztin und nah an den Menschen – bei Sprechstunden, beim Operieren oder Diagnostizieren.

Gemeinsame Vergangenheit

Kennengelernt hatten sich die drei Gynäkologinnen vor 18 Jahren an der Asklepios Klinik Altona. Rund zehn Jahre arbeiteten sie dort zusammen, ehe sie an verschiedene Kliniken gingen und jeweils bis zur leitenden Oberärztin aufstiegen. Als sie sich die Frage stellten, wie es weitergehen soll, erinnerten sie sich an die gemeinsame Zeit – und fassten einen Entschluss: Wir werden Chefin, aber nur als Team. Also erarbeiteten sie ein Konzept und bewarben sich damit initiativ beim Asklepios-Konzern. Sich genau hier zu bewerben, war eine bewusste Entscheidung. Jacob: „Wir kannten den Arbeitgeber und konnten uns gut vorstellen, dass man hier für so ein unkonventionelles Modell offen ist.“ Und das war man an der Asklepios Klinik in Hamburg-Wandsbek.

Hier wurde die Klinik schon länger unter der Prämisse einer offenen Kommunikation und agiler Arbeitsprozesse neu strukturiert. Das Konzept der drei Ärztinnen fand daher bei der geschäftsführenden Direktorin der Klinik Catharina Schlaeger Anklang: „Ein starkes Führungsteam kann eine Abteilung viel schneller aufbauen und auch ein wesentlich größeres Behandlungsspektrum auf hohem Niveau anbieten.“ Jede Ärztin bringt Expertise in einem Bereich mit: Jacob in der Onkologie, Huschi in der Urogynäkologie und Klüber in der Dysplasie. „Wir können so zu dritt genau das abdecken, was eine Gynäkologie heute fordert“, sagt Klüber. Dass sie als Klinikdirektorin mit dem Einstellen dreier Chefärztinnen in Vollzeit aus Unternehmersicht ein gewisses Risiko einging, sei ihr bewusst gewesen, so Schlaeger: „In Deutschland waren wir die erste Klinik, die diesen Weg gegangen ist. Belastbare Kennzahlen hierzu gab es also nicht. Insofern gehörte schon ein wenig Mut dazu.“ Dass es der richtige Weg war, davon ist sie aber weiterhin überzeugt – und es bestätigt ihr auch ein Blick auf die Zahlen des Bereichs: Seit 1. April 2021 steigen diese beispielsweise bei den Patientenzahlen und bei der Fallschwere konstant.

Diskussion: Ja –
Kompromiss: Nein

Aber wie funktioniert das Modell im Klinikalltag? Vor allem durch offene Kommunikation, sind sich alle drei Ärztinnen einig. Für den eigenen Fachbereich trägt jede selbst die Verantwortung. Um Patientinnen in der Allgemeingynäkologie kümmert sich, wer gerade Kapazitäten hat. Alle Entscheidungen, die die gesamte Abteilung betreffen, werden zusammen gefällt. Mit Kompromissen wollen sich die Chefinnen nicht zufriedengeben. Klüber: „Wir wollen schon immer einen gemeinsamen Nenner finden, der uns alle überzeugt.“ Die längeren Debatten, die dadurch gelegentlich entstehen, empfinden sie als Bereicherung und natürliches Korrektiv. Am Ende müsse nur das Team sehen: Es sagt nicht eine „hü“ und die andere „hott“, sondern es gibt eine klare, gemeinsame Linie.

Doch drei Chefärztinnen bringen auch drei Führungsstile mit sich – und die, so Jacob, Huschi und Klüber, seien bei ihnen ziemlich verschieden. Klüber ist eher rational, Jacob und Huschi sind temperamentvoll. Während Jacob von den Mitarbeitenden viel Mitdenken verlangt, betont Huschi, wie wichtig es ist, klare Anweisungen zu geben. Doch gerade diese Unterschiede seien ihre Stärke, sagen die Frauen. So ergänze man sich.

Wichtig sei aber, dass man die gleichen Werte und Ziele teilt. Huschi: „Wir wollen es nicht zu hierarchisch haben, es soll keine ‚Hackordnung‘ geben, wir wollen nicht die Kittel mit den goldenen Knöpfen – das war immer klar.“

Die Bilanz am ersten „Hochzeitstag“ fällt also positiv aus. Ob es Herausforderungen gab? Jede Menge, betonen die Chefärztinnen. Das Einfinden in das neue Team zum Beispiel oder die Umstrukturierung der Abteilung. Die Dreierkonstellation sei dabei aber nie eine Be-, sondern immer nur eine Entlastung im Sinne der Patientinnen und Patienten sowie bei den Mitarbeitenden gewesen. Jacob: „Es gab eigentlich keinen Tag, wo nicht eine von uns gesagt hat: Oh Gott, zum Glück sind wir zu dritt.“