Sie behandeln Sexualstraftäter und haben Bücher über Sadisten, Serienmörder und Psychopathen geschrieben. Was fasziniert Sie an Menschen, vor denen sich andere gruseln?
Als Wissenschaftlerin finde ich es spannend, dass diese Menschen nach bestimmten Logiken funktionieren. Beim Sammeln der Fälle für meine Bücher ist mir immer wieder aufgefallen, wie stark sich die Lebensgeschichten von Tätern und auch die Entscheidungen, die sie in bestimmten Situationen treffen, ähneln – und zwar weltweit. Es muss also etwas im Betriebssystem geben, das bei diesen Tätern nicht stimmt.
Im Betriebssystem?
Ich vergleiche Menschen gern mit Maschinen: Nimmst du ein bestimmtes Betriebssystem und packst eine Software drauf, kannst du dir ungefähr ausrechnen, welches Programm anspringt. Im Prinzip ist Psychologie nichts anderes als Menscheninformatik.
Zuletzt haben Sie sich mit Psychopathen auseinandergesetzt. Was haben die für ein Betriebssystem?
Das Konzept stammt vom US-Psychologen Hervey Cleckley. Er beschreibt in einem Buch aus dem Jahr 1941 einige seiner Patienten, die er als psychopathisch einschätzt. Und zwar solche, die sich extrem unsozial verhielten und – trotz Beteuerungen – unfähig waren, ihr Verhalten zu ändern. Für Cleckley war das Gewissen dieser Menschen krank. Er hielt sie für untherapierbar.
Denken Sie das auch?
Das Konzept ist immer noch umstritten. In den 1970er Jahren hat der kanadische Kriminalpsychologe Robert Hare versucht, Psychopathie unter Straftätern mit einer Checkliste zu erfassen. Er wollte damit die unverbesserlichen Gefangenen heraus filtern. Ob alle Betroffenen aber zwangsläufig in Freiheit immer wieder rückfällig werden, ist unklar. Moderne Forschungsansätze sehen einen relevanten Faktor darin, ob jemand fähig ist, seine Impulse zu kontrollieren. Eine Subgruppe von Psychopathen ist hierin sehr schlecht, eine andere wiederum eher gut. Bei letz-terer könnte eine egoistische Kosten-Nutzen-Rechnung – im Sinne von Freiheit als Gewinn, gekoppelt mit einer Verbesserung der Kompetenz, Bedürfnisse im legalen Rahmen zu befriedigen – durchaus Rückfälle verhindern.
Im Allgemeinen bringt man Psychopathen ja mit Mordlust in Verbindung. Ist das korrekt?
Das ist ein verbreitetes Vorurteil. Mordlust ist kein Kriterium für Psychopathie. Die allermeisten Psychopathen sind keine Killer. Nur die, die wir im Fernsehen sehen. Serienmörder dagegen sind tatsächlich meistens psychopathisch, was daran liegt, dass ihnen all das fehlt, was uns vom Töten abhält: das Gewissen, die Angst vor Strafe und die natürliche Hemmung, die jeder normal konfigurierte Mensch nun mal hat. All diese evolutionär entstandenen Bremsen sind bei Psychopathen kaputt.
Wie therapiert man Straftäter, die kein Gewissen verspüren?
Man kann niemandem, der kein Gewissen hat, eines installieren. Was man tun kann, ist: ihnen die Störung erklären. Oft verstehen sie ja selbst nicht, wieso sie immer rückfällig werden. Und man kann schauen, ob ein Mensch die Ressourcen hat, seine Psychopathie mit Verhaltensstrategien zu überbrücken.
Ihr aktuelles Buch handelt von Psychopathinnen. Ticken die anders als ihre männlichen Pendants?
Bei ihnen sind die Grundstörungen anders verteilt. Und der Narzissmus drückt sich anders aus: Während männliche Psychopathen oft sehr dominant auftreten, geben sich Frauen oft als Helferin oder Hilfsbedürftige, weil ihnen das Aufmerksamkeit bringt. In meinem Buch schildere ich Extremfälle des Münchhausen-Stellvertreter-Syndroms: Dabei lösen Mütter selbst Symptome bei ihren Kindern aus, die sie dann vom Arzt behandeln lassen. Wenn ich Ärzten, die mit Kindern arbeiten, einen Tipp geben darf: Machen Sie eine Fortbildung zum Thema Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom!
Fällt es Ihnen manchmal schwer, beim Gedanken an die Opfer einem Täter gegenüberzusitzen?
Als Therapeutin muss ich die Täter als Menschen sehen. Ich verurteile die Tat, aber der Mensch muss für mich mehr sein als seine Tat, sonst kann Therapie nicht funktionieren. Diese notwendige Empathie ist es, was meinen Job so unbeliebt macht. Wir haben echte Nachwuchsprobleme.
Kann man Psychopathie eigentlich vorbeugen?
Die beste Prävention ist die Erziehung. Allein, dass Kinder nicht mehr geschlagen werden dürfen, senkt die Rate der Gewalt- und Sexualstraftaten in der Folgegeneration nachweislich. Das macht mir Hoffnung.