Bei 8.000 Schiffen pro Jahr ist immer auch die ein oder andere Krankheit mit an Bord. Matthias Boldt und sein Team vom Hamburg Port Health Center passen auf, dass die Bevölkerung gesund bleibt. Ihren Aufgaben im Infektions- und Seuchenschutz gehen die Hafenärztinnen und -ärzte aber nicht nur am Hafen nach.
Von Lothar Schmidt - Fotos: Kathrin Spirk
Dr. Matthias Boldt passiert die Schleuse am Kreuzfahrtterminal Steinwerder. Die Stimmung ist noch etwas gedämpft. Pünktlich um sechs Uhr war er in seinem Büro im Hamburg Port Health Center (HPHC), nur um dort zu erfahren, dass das Kreuz-fahrtschiff, das er begutachten will, erst gegen sieben den Hafen erreichen wird. „Wir hatten starken Wind in der Deutschen Bucht. Verspätungen gibt es also nicht nur bei der Deutschen Bahn“, erklärt der Leiter des HPHC im leicht schnodderigen Küstenton. Dabei ist Boldt gar kein Hanseat, sondern aus Niedersachsen an die Elbe gekommen. Kurz darauf überquert er den gläsernen Passagiersteg zwischen Terminal und Schiff und verschwindet im Bauch des riesigen Luxusliners.
Potenziell könnten die 3.414 Passagiere und 1.281 Crewmitglieder des mehr als 300 Meter langen Kreuzfahrtdampfers nicht nur Reiseerlebnisse gesammelt, sondern auch unliebsame Krankheiten mitgebracht haben, die dann zu einem Problem für die Stadt und letztlich das ganze Land werden können. Seit der Corona-Pandemie weiß jeder, was ein Virus anrichten kann.
Die Hamburger mussten diese Erfahrung bereits 1892 machen, als in Folge einer Cholera-Epidemie, die über den Hafen eingeschleppt wurde, fast 9.000 Menschen starben. Damals wurde als Reaktion auf die Katastrophe der erste Hafenarzt berufen. Zu den Aufgaben von Boldt und den anderen Hafenärz-tinnen und -ärzten des HPHC gehört: Sie müssen einschätzen, ob von den rund 250.000 Seeleuten und bis zu 900.000 Kreuzfahrtgästen, die pro Jahr mit rund 8.000 Schiffsanläufen in den Hamburger Hafen kommen, eine Gefahr für die öffentliche Gesundheit ausgeht. Damit ein Infektionsgeschehen nicht von einem Schiff aufs Land übergeht, gibt es viel zu tun. „Vor allem bei den Handelsschiffen läuft vieles digital“, erklärt Boldt. Nach den internationalen Gesundheitsvorschriften muss jedes Schiff, 24 Stunden bevor es den Hamburger Hafen anläuft, eine Seegesundheitserklärung übermitteln. Nur wenn alle Angaben unbedenklich sind, darf das Schiff in den Hafen einlaufen.
„Wenn es einen Kranken, einen Todesfall oder Hinweise auf eine Infektionskrankheit gibt, nehmen wir Kontakt mit dem Handelsschiff auf“, so Boldt. Dann geht einer der Hafenärzte in Begleitung von Betriebsinspektoren an Deck, um die Situation besser beurteilen zu können. Die Betriebsinspektoren gehören ebenfalls zum Team des HPHC, das zum Institut für Hygiene und Umwelt gehört. Sie schauen sich unter anderem die Kombüse, die Vorratskammer und den Medizinschrank an. Die Inspektoren stellen auch das Schiffshygienezertifikat aus, das früher Rattenzertifikat genannt wurde und ohne das kein Schiff unterwegs sein darf. „Wir können den Reedereien nicht unerheblichen Ärger machen“, räumt Boldt ein. „Aber letztlich sind wir die Guten und arbeiten in der Regel einvernehmlich mit den Reedereien. Schließlich hat niemand einen Vorteil davon, wenn Besatzung und Passagiere krank werden.“
Im Unterschied zu den Handelsschiffen gehen die Hafenärzte bei Kreuzfahrtschiffen immer an Bord. „Bei mehreren Tausend Menschen gibt es immer wen, der krank ist. Meistens handelt es sich um Atemwegserkrankungen und Magen-und-Darm-Infekte. Uns interessiert: Wie viele Fälle gibt es, treten sie gehäuft auf oder über mehrere Tage verteilt?“ Mit einer gewissen Dunkelziffer ist immer zu rechnen. „Was die Leute in der Corona-Zeit gelernt haben, ist: Wer ansteckend ist, muss sich isolieren. Wer aber mehrere Tausend Euro für so eine Reise ausgegeben hat, möchte sie nicht auf der Kabine verbringen. Also gehen sie erst gar nicht zum Schiffsarzt.“
Der Facharzt für öffentliches Gesundheitswesen und heutige Leiter des HPHC kam 2019 nach Hamburg. Ihn lockte die spannende und abwechslungsreiche Aufgabe. Wie spannend sie dann tatsächlich würde, hätten weder er noch seine Kollegen für möglich gehalten. Mit dem Ausbruch der Corona-Pandemie stand die Behörde plötzlich im Zentrum des Geschehens. „Vieles, was nur theoretisch denkbar schien, musste plötzlich angewendet werden“, erinnert sich Boldt.
Um mit Notfallsituationen wie dem Ausbruch einer Infektionskrankheit an Bord eines Kreuzfahrtschiffes umgehen zu können, hat die Behörde bereits vor der Pandemie in einem Forschungsprojekt Notfallkonzepte entwickelt. In einer groß angelegten Übung wurden sie Ende 2021 getestet. „Ich denke, wir sind heute besser aufgestellt als vor der Pandemie“, ist Boldt überzeugt.
Im roten Einsatzbus rollt der Hafenarzt wieder zurück ins HPHC im Stadtteil Rothenburgsort. Dort wartet weitere Arbeit auf Boldt, denn zum HPHC gehört auch ein Zentrum für Impfmedizin. Um die beiden Besucher, die im Warteraum sitzen, kümmert sich aber bereits seine Kollegin, die Hafenärztin Elisabeth Hewelt. Die Fachärztin für Innere Medizin hat in dieser Woche keinen Schiffsbesuch. Stattdessen arbeitet sie im Impfzentrum und hat Termine in Schulen und einer Unterkunft für unbegleitete Flüchtlinge. Vor drei Jahren hat sie dem Schichtdienst in der Klinik den Rücken gekehrt und sich auf die Stelle der Hafenärztin beworben. „Mich hat vor allem die Vielfalt der Aufgaben gereizt“, erklärt die 40-Jährige. Dass sie gut mit Menschen kann, hilft ihr dabei sehr. Auch sie kam kurz vor Ausbruch der Corona-Pandemie ans HPHC. Impfungen für Seeleute und hunderttausende Bewohner Hamburgs mussten organisiert und durchgeführt werden. Kreuzfahrtschiffe saßen fest, weil ihnen die freie Verkehrserlaubnis verweigert wurde. „Damals habe ich festgestellt, dass" Behörden, anders als viele denken, auch schnell und entschlossen handeln können“, weiß Hewelt. Die rund 4.700 Menschen auf dem großen Kreuzfahrtschiff in Steinwerder mussten sich keine Sorgen machen. Nach dem Frühstück an Bord erkunden vermutlich bereits viele von ihnen die Elbmetropole. „Es gab kein außergewöhnliches Geschehen an Bord“, stellt Boldt klar, „ich habe die freie Verkehrserlaubnis erteilt.“
Grundimmunisierung, Auffrischungen, Reise-Schutzimpfungen und reisemedizinische Beratung – auch das gehört zu den Aufgaben des Hamburg Port Health Center (HPHC). „Unser Angebot richtet sich an alle“, betont Dr. Matthias Boldt. Ausdrücklich willkommen sind neben Seeleuten, Hamburgern und Nicht-Hamburgern auch Geflüchtete und Obdachlose. Sollte jemand Angst vor dem Piks haben – für Ablenkung ist gesorgt: Bekannte und aufstrebende Streetart-Künstler haben die Wände der Behandlungsräume mit ihren Werken gestaltet.