Love me Tinder

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Julia Mendes ist eine Frau mit vielen Namen. Vier verschiedene Profile hat die 32-Jährige bei Partnerbörsen. Würde ein Mann auf allen vier Onlineportalen auf die Assistenzärztin stoßen, er würde sich wundern, dass sich ein und dieselbe Frau hinter einer Vielzahl von Usernamen verbirgt. Auch Julia Mendes ist nicht ihr echter Name. Wir haben ihn ebenso geändert wie den der anderen Mediziner in diesem Text. Der Grund ist, dass Mendes sich ein bisschen dafür schämt, dass es nicht „auf natürlichem Wege“ klappt mit ihr und den Männern.

Seit zweieinhalb Jahren fahndet Mendes nun schon nach ihrem Mr. Right. Eine Suche, für die ihre sich ständig ändernden Arbeitszeiten in der Klinik wenig Raum lassen: Neben der normalen Stationsarbeit von acht bis 17.30 Uhr rotiert Mendes in der Notaufnahme zwischen verschiedenen Spätdiensten und der Nachtschicht. Meist reihen sich drei Nachtdienste aneinander. „Manchmal habe ich nur ein freies Wochenende im Monat und dann fast kein soziales Leben mehr“, sagt die Assistenzärztin. Tagsüber schlafen, nachts arbeiten. Freunde treffen funktioniere in solchen Wochen kaum, sagt Mendes. „Männer lerne ich so auch nicht kennen.“ Zumindest nicht im realen Leben.

Zeitnot im Job ist für viele der Grund dafür, ihr Glück in einer Online-Partner-Börse zu suchen – vor allem für viele Ärzte. Laut einer Befragung der Gewerkschaft Marburger Bund von 2015 arbeitet die Hälfte der Mediziner in Deutschland bis zu 59 Stunden pro Woche, ein Fünftel bis zu 80 Stunden. Kein Wunder, dass einer Studie der Ärzteplattform esanum zufolge 44 Prozent von ihnen der Meinung sind, der Arztberuf erschwere die Partnersuche. Andererseits ist „Arzt“ einer der meistgesuchten Berufe auf Dating-Portalen. In den Rankings von Parship, ElitePartner und eDarling rangieren „Arzt“ und „Ärztin“ ganz oben auf der Liste der von Singles gefragten Traumpartner-Jobs. Mediziner sind also einerseits begehrt und andererseits oft Dauer-Single – für Partnerbörsen eine ideale Zielgruppe.

 

Begehrt, aber Single

„Alle elf Minuten verliebt sich ein Single über Parship“, sagt das überdimensionale Werbeplakat an der Berliner Schloßstraße. Clara und Leo Sieger müssen lachen, als sie daran vorbeigehen. Vor 15 Jahren haben sich die Allgemeinmedizinerin und der Architekt über die Partnervermittlung kennengelernt. „Ich bin neu hier und habe noch nie jemanden getroffen“, schrieb Clara damals, mit 26. „Mein Mann hat das Gleiche geantwortet. Das war ein sehr sanfter Einstieg und hat uns die Unsicherheit genommen“, erinnert sie sich heute. Nach drei Wochen Chatten trafen sich die Ärztin und der Architekturstudent in Berlin. Hier lebt das verheiratete Paar heute mit seinen vier gemeinsamen Kindern: Clara arbeitet in einer Berliner Praxis, Leo als selbständiger Architekt. 

Eine solche Premiere wie die beiden erleben nicht mehr viele User, seit die Zahl der Mitgliedschaften bei Dating-Portalen so enorm gestiegen ist. Statistiken zufolge gehen 8,4 Millionen Deutsche online auf Partnersuche. Eine von ihnen ist Ida Reh. „Lange dachte ich, ich treffe schon irgendwo einen Partner“, sagt die 28-jährige Internistin, die seit anderthalb Jahren ihren Facharzt in einer Leverkusener Klinik macht. Wenn man die hübsche Frau mit den blonden Haaren und den feinen Gesichtszügen sieht, will man ihr sofort zustimmen, dass ihr der Richtige schon noch über den Weg läuft. „Aber das geht in meinem Job nicht“, sagt die junge Ärztin. „Ich schaffe es doch noch nicht einmal, so oft Sport zu treiben, wie ich das möchte.“ Früher habe sie mit Leidenschaft Hockey und Tennis gespielt, sagt Reh. Heute begnügt sie sich mit Sportarten, die zeitlich flexibler sind: „Ich gehe laufen und zum Kieser-Training.“ Und zur Partnersuche nutzt sie jetzt eben Tinder.

 

Flirten wie im Club

Tinder ist für viele die oberflächlichste Dating-App der Welt. Das Programm zeigt nur Foto, Vorname, Beruf und Alter eines Kandidaten an – und, wie weit dieser gerade räumlich entfernt ist. Anhand von Äußerlichkeiten entscheidet der User dann, ob er jemanden interessant findet. „Ich habe lange gedacht: Es ist doch schade, dass die Leute immer mehr davon weggehen, jemanden persönlich anzusprechen“, sagt Reh. Inzwischen denke sie jedoch, dass Dating-Apps einfach das Natürliche bequemer machen. „Ich stelle mir das vor wie beim Flirten in einem Club: Man schaut sich um, wer da ist und wer einem gefällt. Man schenkt jemandem ein Lächeln. Und wenn er zurücklächelt, fängt man ein Gespräch an.“ Während Datingportale wie Par­ship
und ElitePartner mit Algorithmen und passgenauen Persönlichkeitsprofilen werben, folge Tinder eben dem natürlichen Instinkt von Singles: sich mal umsehen. Und auf wen trifft man dann? Erstaunlich oft eben auf Fachkollegen. „Als Status-Partner ist der Arzt ungeschlagen anziehend – auch für Mediziner“, sagt Danja Tripler, Körperpsychotherapeutin aus Köln. „Frauen orientieren sich an Berufen, die einen traditionellen Status transportieren. Männer mögen Frauenberufe, die Fürsorge signalisieren.“ Auf Heilberufe treffe beides zu.

 

Verständnis fürs Gejammer

Julia Mendes wäre nicht unglücklich darüber, wenn ihr nächster Partner ein Heilberufler wäre. „Ich glaube, das erleichtert die Beziehung sehr“, sagt die Assistenzärztin. Im Studium und der ersten Zeit in der Klinik sei sie mit Kollegen liiert gewesen, danach mit einem Nicht-Mediziner. „Es war schwer, mit ihm über meinen Job zu sprechen und ihm klarzumachen, was mich beschäftigt“, sagt Mendes. 

Auch Lena Seidel, HNO-Ärztin in einer Bonner Klinik und seit dem Studium mit einem Kollegen zusammen, schätzt die Arzt-Ärztin-Konstellation sehr. Mit ihrem Mann und drei gemeinsamen Kindern lebt die Medizinerin in Köln. „Das gegenseitige Verständnis für die unmöglichsten Arbeitszeiten, wenn beide im Schichtdienst am Wochenende arbeiten, ist viel wert“, sagt die 40-Jährige. Einen Partner mit anderer Profession würde ihr Gejammer vermutlich auf die Nerven gehen, glaubt Seidel. „So kann ich gemeinsam mit meinem Mann darüber klagen, dass ich wieder an Weihnachten arbeiten muss, und wir brauchen uns keine Vorwürfe zu machen.“ Zudem baue sie ihr Mann bei traurigen Fällen in der Klinik immer wieder auf. „Ich weiß nicht, ob mir das von einem Partner mit anderem Hintergrund im gleichen Maße helfen würde“, sagt Lena Seidel.

 

Wie online Einkaufen

Clara Sieger dagegen schätzt an ihrem Leo gerade, dass sie sich mit ihm im Alltag über ganz anderes unterhalten kann – und die Medizin außen vor bleibt. „Natürlich bietet unsere Konstellation auch Konfliktpotenzial“, sagt Sieger. „Mein Mann ist manchmal sauer, wenn er seine Mitarbeiterinnen sieht, die bei Krankheit der Kinder zu Hause bleiben können, und bei seiner Frau geht das nicht." Aber eine Ärztin dürfe halt nicht in der Praxis fehlen.

Danja Tripler hat die Erfahrung gemacht, dass viele Menschen zwar einen Wunschzettel im Kopf haben mit Ansprüchen, die ihr Idealpartner bitteschön erfüllen soll. Dass sie dann aber doch nicht immer das auswählen, was sie angeblich suchen. „Frauen geben zum Beispiel an, dass ihr Partner zwischen 37 und 41 Jahre alt sein soll, aber wenn sie dann einen herzlichen 42-Jährigen finden, lassen sie sich auch darauf ein.“ Zur inneren Vorbereitung sei eine Wunschliste sicher gut, sagt die Therapeutin. „Aber dann sollte man die Liste wegwerfen und sich einfach reingeben in die Suche.“

Partnersuche bedeutet auch: sich den Ansprüchen anderer stellen. Dabei helfe einem die Online-Suche, findet Julia Mendes. Sie schätzt am Internet, „dass man sich nicht erst die Haare kämmen muss, sondern sich hinter einem vorteilhaften Profilbild verstecken kann“. Natürlich habe auch sie sich bei Tinder angemeldet und durch die Bilder potenzieller Partner gewischt, manchmal stundenlang. Geschrieben habe sie aber nie, sagt Mendes: „Ich habe mich schlecht dabei gefühlt, so, als würde ich einkaufen.“ Mit der Darstellung durch Fotos und Fragebogen präsentieren wir uns warenmäßig, monieren Kritiker auch an anderen Partner-Portalen. Therapeutin Tripler hält dem entgegen, dass diese eben auch eine Möglichkeit der Selbstdarstellung bieten, bei der es weniger um die Wahrheit als um das Potenzial gehe, das in einem steckt. „Tiere nehmen in der Balz unglaubliche Posen ein, das ist bei uns Menschen nicht anders", sagt Tripler. Es dürfe ruhig ein bisschen getrickst und geschummelt werden.

So wie beim berühmten Parship-Werbeslogan. Die eigentliche Erklärung für die Zahl „11" ist eher schnöde: Hochgerechnet alle elf Minuten trennt sich ein Parship-Nutzer von seiner Mitgliedschaft mit der Angabe, fündig geworden zu sein. So formuliert klingt das natürlich weniger romantisch.