BLUTDRUCK MESSEN AM KIOSK?

Die Bundesregierung möchte mit 1.000 Gesundheitskiosken die Patientenversorgung in strukturschwachen Gebieten verbessern. Die einen sehen darin Entlastung, die anderen eine überflüssige Parallelstruktur.

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DR. JENS STADTMÜLLER

Ich bin Kardiologe in Billstedt, einem eher strukturschwachen Stadtteil Hamburgs. Hier ist der erste Gesundheitskiosk– übrigens auf Initiative von Ärzten hin – als Leuchtturmprojekt entstanden. Ich empfinde das Angebot als große Entlastung. Wir Ärzte betreuen hier im Schnitt etwa doppelt so viele Patienten wie Ärzte in anderen Stadtgebieten. Einfach weil der Andrang so groß ist. Dadurch gab es einen riesigen Bedarf, uns besser zu vernetzen und zu schauen, was für Beratungsleistungen oder Vorarbeiten wir delegieren können, um uns die Arbeit zu erleichtern. Wir hatten damals außerdem Zahlen von der AOK, dass die Menschen in unserem Stadtteil fünfmal so oft ins Krankenhaus fahren und rund zehn Jahre früher sterben als der Durchschnitt in Hamburg. Das hat zu großen Teilen sozioökonomische Gründe. Man kann jetzt sagen, dass sich dann erst einmal etwas im Sozialsystem ändern müsste und das Gesundheitssystem damit nichts zu tun hat. Aber das sehe ich anders. Soziale und gesundheitliche Probleme überlappen sich eben und an diesen Punkten setzt der Gesundheitskiosk an. Die Menschen kommen ja nicht in die Kioske, weil sie ihre Lebensverhältnisse geändert haben wollen, sondern sie kommen mit gesundheitlichen Problemen: Weil sie adipös sind, Rückenbeschwerden oder einen zu hohen Blutdruck haben. Von daher sehe ich hier eine Verantwortung ärztlicherseits – und auch der Krankenkassen. Letztlich sparen diese auch reale Kosten durch solche interdisziplinären Angebote. Das hat auch eine wissenschaftliche Evaluation des Billstedter Projekts gezeigt. Zudem wird der Kiosk super angenommen. Allein im ersten Jahr wurden hier über 3.000 Beratungen geleistet. Ein einheitliches Konzept der Gesundheitskioske einfach flächendeckend über das deutsche Gesundheitssystem zu stülpen, fände ich allerdings wenig sinnvoll. Man muss schauen, dass man solche Kioske dort einrichtet, wo man sie wirklich braucht – und dann von lokalen Akteuren tragen lässt. Dann können sie eine echte Bereicherung sein: nicht als Substitutionsleistung für den Ärztemangel, sondern als sinnvolle Ergänzung des Versorgungsnetzwerks.


 

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DR. ERIK BODENDIECK

Für mich sind die Gesundheitskioske eher Anlaufstellen bei sozialen Problemen. Als solche sind sie sicher geeignet, um etwas Ordnung in soziale Brennpunkte hineinzubekommen. Und sicherlich führt mehr soziale Sicherheit auch zu mehr Gesundheit. Aber damit sind sie Teil der Sozial-, nicht der Gesundheitsversorgung. Ähnlich wie beispielsweise Angebote der Caritas. Daher kritisieren die Krankenkassen zu Recht, dass sie hier für etwas bezahlen, was nicht in ihren Bereich fällt. Hausärzte wie ich sind aktuell oft auch „Sozialhelfer“ – obwohl dies nicht unsere Aufgabe ist. Wir fangen damit die Probleme der Gesellschaft und des Staates auf, um die diese sich nicht ausreichend kümmern. Wir sollen inzwischen eine 24-Stunden-Rundum-Wohlfühl-Gesundheitsversorgung liefern. So ein vollumfängliches Leistungsversprechen können wir als Ärzte nicht geben und ist ebenso im Sinne der Subsidiarität nicht erforderlich. Wir sollten die Kioske also eher „Sozialkioske“ nennen. Als solche können sie gerne die sozialen Leistungen, die wir Ärzte heute schon erbringen müssen – aber nicht sollten –, übernehmen. Doch medizinische Leistungen, wie Impfen oder Blutdruckmessen, haben in diesen Kiosken dann bitte nichts zu suchen. Das muss in unserem ärztlichen Verantwortungsbereich bleiben. Außerdem haben wir in Deutschland ohnehin bereits ein sehr feingliedriges Gesundheitssystem, das durch die mangelnde Steuerung überfordert ist. Wir haben schon viele nichtärztliche Angebote, mit denen wir vielerorts die Patientenversorgung verbessern: Praxis und Versorgungsassistenten oder Physician Assistants zum Beispiel. Was wir brauchen, ist nicht noch eine zusätzliche, flächendeckende Parallelstruktur in Form der Gesundheitskioske, sondern eine Entrümpelung des Systems – auch von überflüssiger Bürokratie. Es braucht eine gestufte Versorgung, die wir gemeinsam mit den Krankenhäusern umsetzen müssen. Dass man wieder erst zum Hausarzt geht und dann zum Facharzt oder in die Klinik überwiesen wird, sollte die Regel sein. Jede zusätzliche Versorgungsstruktur braucht zudem zusätzliches Personal, das wir nicht haben.